Altersmilde schoss es Agathe durch den Kopf, als eines der jungen Mädchen aufsprang und ihr seinen Platz anbot. Agathe verzog das Gesicht: Der Sitz war noch warm. „Selbst du wirst im Alter milder werden“, hatte ihr Franz immer gesagt. Aber ihr Franz hatte auf seinem Weg zum dankbaren Tattergreis, der mit 69 den Löffel abgegeben hatte, auch keine große Entwicklung durchgemacht. In Wahrheit, das wusste Agathe mittlerweile, war Altersmilde das, was mit anderen Menschen geschah, wenn man selbst älter wurde: Für die Jahre, die man noch zusammenkratzen konnte, war man geduldet. Aber die Welt gehörte den anderen. Es war ein Tod auf Raten: Man war noch da, aber die Blicke gingen immer öfter durch einen hindurch. Stummes Augenrollen, weil die Beine nicht mehr so schnell waren. Gnädiges Lächeln, wenn man um Hilfe bat. Es gab keinen Grund, grob oder ungeduldig zu sein: Die Jungen wussten, dass sie am längeren Hebel saßen. Manchmal stellte Agathe sich vor, dass sie einem dieser jungen Mädchen unter die Haut schlüpfen konnte. Sie würde an der nächsten Station aussteigen und den Sensenmann heranwinken, der ihr mit jedem Tag ein bisschen näherkam. Dann würde sie auf den Bus deuten und auf die alte Frau, die am Fenster saß und vor sich hinstarrte, während in ihrem Innern ein junges Mädchen verzweifelt die Hände gegen das welke Fleisch stemmte.